Zwischen den Städten Siena und Florenz, den jahrhundertealten Hüterinnen großer Kunstschätze, erstreckt sich eine ruhige, romantische Landschaft, die die Konturen weinbewachsener Hügel prägen und von einem uralten Weg durchzogen wird. Seit dem Mittelalter ist die Via Romea Sanese die beliebteste Verbindung zwischen den beiden toskanischen Hauptstädten und der beste Weg, um eine Reise nach Rom anzutreten: Kurz vor Siena mündet die Route in die Frankenstraße, die in das Herz der Stadt des Palio führt.
Heute schlängelt sich die Romea Sanese über 80 km lang in vier Etappen durch die Landschaft und mittelalterlichen Dörfer, wo sie auf zahlreiche Kultstätten von großem historischem Reiz trifft.
Am Ende der ersten Etappe der Via Romea Sanese kommt man in das Gebiet von San Casciano Val di Pesa, einem mittelalterlichen Ort, der mit der Figur von Niccolò Machiavelli verbunden ist.
Unmittelbar nachdem man das Eingangstor zur Altstadt durchschritten hat, kommt man an der Kirche Santa Maria del Prato vorbei, die auch „della Misericordia" genannt wird. Sie präsentiert sich dem Wanderer mit einer Fassade aus Flusskieselsteinen und Pietra Serena, die in der ihr eigenen Schlichtheit des 14. Jahrhunderts fast streng wirkt. Der im Barockstil renovierte Innenraum birgt eine kleine Überraschung: Über dem zweiten Altar befindet sich ein Holzkruzifix, das Simone Martini zugeschrieben wird und wahrscheinlich für die Kapelle des Palazzo Pubblico in Siena angefertigt wurde; seine Ankunft in der Kirche von San Casciano Val di Pesa ist bis heute ein Geheimnis. Das Gebäude beherbergt auch Gemälde von Rutilio Manetti und ein zweites Kruzifix, das der Schule von Donatello zugeschrieben wird.
Wenn man den Weg in südlicher Richtung weitergeht, stößt man auf die Ortschaft San Donato in Poggio. Hier kann man nach einem kurzen Abstecher von der Route die gleichnamige Pfarrkirche besichtigen, ein uraltes Zeugnis der örtlichen Religionsgemeinschaft. Die Kirche scheint bereits in einer Urkunde aus der Zeit vor dem Jahr Tausend auf, und es scheint, dass das Dorf erst später, gerade wegen der Bedeutung der Pfarrkirche, entstanden ist. Der hohe Glockenturm ragt über das Landschaftsbild hinaus und besticht durch seine Zweifarbigkeit, während in der Kirche ein Giovanni della Robbia zugeschriebenes Taufbecken zu sehen ist.
Unmittelbar nach San Donato in Poggio kommt man zur Wallfahrtskirche Madonna delle Grazie, besser bekannt als Wallfahrtskirche von Pietracupa, nach dem vielsagenden Namen des Ortes. Wie zahlreiche Wallfahrtskirchen in der Toskana wurde auch diese infolge von wundersamen Ereignissen errichtet, die mit einem Tabernakel mit einer Marienikone verbunden waren. Mit dem Bau wurde 1500 begonnen, und schon bald wurde das Gebäude erweitert und umgestaltet. Heute bietet die Wallfahrtskirche den Betrachtenden einen imposanten Bogengang und manieristische Eleganz, die auf den Stil von Persönlichkeiten wie Giorgio Vasari und Bernardo Buontalenti zurückgeht.
Neben den Landpfarrkirchen und kleinen Dorfkirchen gibt es an der Via Romea Sanese kunsthistorisch besonders wertvolle Sakralbaukomplexe. Ein Beispiel dafür ist die Kartause Certosa del Galluzzo in Florenz, die seit Mitte des 14. Jahrhunderts hoch oben thront und einen Abstecher von der ursprünglichen Route wert ist.
Etwa auf halbem Weg zwischen Florenz und Siena, in der Landschaft von Barberino Tavarnelle, zeigt sich nach und nach die Abtei San Michele Arcangelo in Passignano, umgeben von einem dichten Zypressenhain, dessen Spitzen nur von den Türmen und dem hohen Glockenturm der Kirche überragt werden. Der tausend Jahre alte Komplex, besser bekannt unter dem Namen Badia a Passignano, geht auf die Vallombrosianische Mönchskongregation zurück, die von ihrem Gründer, dem heiligen Johannes Gualbertus geleitet wurde, der hier bis zu seinem Tod lebte.
Neben der Kirche, die dem Erzengel Michael geweiht ist, gehören zu den Räumlichkeiten der Abtei auch der wunderschöne Kreuzgang, zahlreiche Kapellen, die Krypta und der Reliquienschrein des heiligen Johannes Gualbertus, in dem auch sein Grab aufbewahrt wird.
Massive Modernisierungsarbeiten in den 1800er Jahren gaben dem Bauwerk sein heutiges Aussehen einer befestigten Villa, die eher einer Burg als einem Klosterkomplex ähnelt und mit reizvollen Türmchen versehen ist, die an den neugotischen Stil erinnern.
Die Badia di Passignano ist ein Ort von unermesslicher Schönheit und großer Spiritualität, an dem man sich einige Momente der Ruhe gönnen kann, bevor man sich wieder auf den Weg macht. Hier ist man von wunderschönen Bau- und Kunstwerken, wie dem letzten Abendmahl von Domenico Ghirlandaio, das im Refektorium aufbewahrt wird, umgeben.